Zitat des Monats // Learning how to think
Denken zu lernen hat für Wallace keinen rein wissenschaftlichen oder akademischen Zweck. Es macht das Leben überhaupt erst erträglich. Es macht uns frei.
Unsere psychischen Festplatten ist mit einer Art Standardeinstellung versehen. Wenn wir diese Standardeinstellung beibehalten, werden wir nie glücklich werden können.
Wir sammeln unsere Erfahrungen in dieser Standardeinstellung: Ich habe nie eine Erfahrung gemacht, in der ich nicht der absolute Mittelpunkt gewesen wäre. Sie? Alles um mich richtet sich automatisch nach mir - ich bin das Zentrum meines Lebens. So wie Sie das Zentrum ihres Lebens sind. Alle Gedanken und Gefühle anderer sind nicht so unmittelbar, zwingend und wirklich wie die eigenen.
Denken zu lernen bedeutet, sich nicht in dieser Standardeinstellung zu verlieren. Es bedeutet, die eigenen Gedanken steuern zu können. Sie bestimmen, wo die Reise hingeht.
‚Selber denken lernen‘ heißt in Wirklichkeit zu lernen, wie man über das Wie und Was des eigenen Denkens eine gewisse Kontrolle ausübt. Es heißt, selbstbewusst und aufmerksam genug zu sein, um sich zu entscheiden, worauf man achtet, und sich zu entscheiden, wie man aus Erfahrung Sinn konstruiert.
– Wallace S. 18
Und darum geht es doch letztlich: Sinn zu konstruieren. Den Sinn aller Dinge, die uns umgeben. Die wir erfahren. Die wir ertragen. Die wir durchleben. Täglich. Im Job. Im Supermarkt. In unseren Beziehungen.
Wir haben die freie Wahl, ob und welchen Sinn wir den Dingen geben. Das heißt es zu denken! Die Dinge aus unterschiedlichen Perspektiven zu sehen. Zu reflektieren. Zu beurteilen. Darin sind wir wirklich frei!
Die wirklich wichtige Freiheit erfordert Aufmerksamkeit und Offenheit und Disziplin und Mühe und die Empathie, andere Menschen wirklich ernst zu nehmen und Opfer für sie zu bringen, wieder und wieder, auf unendlich verschiedene Weisen, völlig unsexy, Tag für Tag.
Das ist wahre Freiheit.
Das heißt es, Denken zu lernen.
– Wallace, S. 33
Wir haben natürlich eine Alternative: Wir können die Standardeinstellung beibehalten. Dann verbleiben wir in der Gedankenlosigkeit - in der Tretmühle des Alltags. Unfrei in unseren Entscheidungen.
Quelle: Das ist Wasser/This is Water“ David Foster Wallace, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln, 16. 2012*
Photo: Jong Marshes on Unsplash
*Anmerkung: Tatsächlich schaffte es das Kenyon College 2005, David F. Wallace als Abschlussredner zu gewinnen. Es war leider die einzige Rede, dieser Art, die er je gehalten hat. Die oben genannte zweisprachige Ausgabe dieser Rede ist ausgesprochen lesenswert!