Das große Schweigen
Diskussionen motivieren
Was tun, wenn man sich am Ende seines Vortrags auf eine lebhafte Diskussion freut, sich aber niemand aus dem Publikum zu Wort meldet? Lesen Sie nach, wie man am besten mit dem großen Schweigen nach einer Präsentation umgeht bzw. dieses verhindert!
"Helfen Sie mir, kritisieren Sie mich, widersprechen Sie mir! Mit meinen 84 Jahren bin ich alles gewöhnt". Mit diesen flehenden Worten versuchte Jürgen Habermas nach seinem Vortrag an der Budapester Eötvös-Loránd-Universität das zahlreich im Hörsaal erschienene Publikum doch noch zu einer Wortmeldung zu bewegen.
Nun fördert Ungarns Klima für frei denkende Menschen zwar nicht gerade einen offenen Diskurs, doch die so anschaulich vor einigen Jahren in der Wiener Zeitung beschriebene Diskussionsverweigerung zeigt: Vor den gefürchteten stillen Minuten nach einem Vortrag, in denen sich niemand zu Wort meldet, ist noch nicht einmal einer der bedeutendsten Philosophen der Welt gefeit.
Wertvoller Input
Das ist schade, denn der wissenschaftliche Diskurs ist überaus wertvoll und anregend. Für Jürgen Habermas war dieser Punkt sicher nicht ausschlaggebend, doch für viele seiner Kolleg:innen ist diese Form der Wissenschaftskommunikation zudem ein Karriereturbo. Wer als Wissenschaftler:in vor einem Fachpublikum Vorträge hält und über seine Erkenntnisse mit anderen diskutiert, tut viel für seine Reputation.
Die Beiträge der Besucher:innen geben außerdem wichtige Rückmeldungen: Als Vortragende findet man in der Diskussion heraus, ob und wie die Zuhörer die Präsentation verstanden haben und sie ist ein Wegöffner zu gemeinsamen neuen Lösungsansätzen und Ideen. Vor allem kann man so konstruktiv auf Kritik reagieren und seine Kompetenzen erweitern. Läuft die Diskussionsrunde gut, gehen meist auch die Teilnehmer mit einem besseren Eindruck nach Hause – mit dem Gefühl, tatsächlich beteiligt und nicht nur belehrt worden zu sein.
Die abschließende Diskussions- und Fragerunde verdient daher besondere Aufmerksamkeit. Als vortragender Wissenschaftler:in sollte man ihr dieselbe Aufmerksamkeit wie dem eigentlichen Vortrag entgegenbringen.
Die Diskussion richtig eröffnen
Wie kann man nun am Ende seiner Präsentation die Teilnehmenden dazu animieren, sich zu Wort zu melden und sich mit ihren Kompetenzen einzubringen? Die formelle Einladung dazu signalisiert, dass die Zuhörer:innen gefragt sind. Diese könnte zum Beispiel so aussehen: „Mit diesem letzten Punkt meiner Präsentation zu XY möchte ich gerne die Diskussion einleiten. Wie sehen Sie den von mir skizzierten Lösungsweg zu XY?“. Eine offene Frage animiert die Teilnehmer, ihre Meinung zu einem Sachverhalt zu äußern. Dieser Weg ist erfolgreicher, als sie lediglich dazu aufzufordern, dass sie jetzt ihre Fragen stellen und das Gesagte kommentieren können.
Häufig sind auch provokante Fragen, die sehr polarisierende Meinungen erwarten lassen, im wissenschaftlichen Diskurs ein Schlüssel zum Erfolg. Im Gegensatz dazu würgen Fragestellungen an das Fachpublikum, die sich nur mit einem schlichten Ja oder Nein beantworten lassen, die die Diskussion ab, noch bevor sie überhaupt begonnen hat.
Ein guter „Appetizer“ für einen anregenden Austausch sind Ergebnisse von Forschungsaktivitäten, die sich noch nicht eindeutig interpretieren lassen. Das ist nicht nur für den Vortragenden spannend, sondern auch für die fachkundigen Teilnehmenden, die oft wertvolle Anregungen und Expertenwissen liefern. Auch eine visuelle Unterstützung kann dazu beitragen, die Diskussion in Gang zu bringen. Daher sollte man daran denken, die entsprechende Einladung auf dem Abschlusschart zu visualisieren – etwa mit einer Bild bzw. einer Grafik und/oder mit der Aufforderung „Bitte stellen Sie jetzt Ihre Fragen!“. Diese kann man auch einfach an die Tafel schreiben.
Denken Sie schon beim Vortrag an die Diskussionsrunde!
Vorträge zu halten, die konsistent und in sich geschlossen sind, lässt oft nicht mehr viel Raum für Fragen und Gedanken aus dem Fachpublikum. Damit fällt auch der Start des wissenschaftlichen Diskurses schwerer als bei einer Präsentation, die strittige Punkte anspricht. Bitte denken Sie daran, dass Sie nicht alle Fragen schlüssig beantworten müssen, wenn Sie Vorträge halten! Gerade Nachwuchswissenschaftler:innen tendieren dazu, sich bei ihren Präsentationen noch zu sehr an den Abläufen ihrer Ausbildungszeit zu orientieren. Das eine oder andere offenzulassen, schmälert nicht automatisch die Kompetenzen des Vortragenden.
Lassen Sie den Zuhörenden zudem etwas Zeit, das Gehörte zu „verdauen“ und sich vom Zuhören auf das Mitdiskutieren umzustellen! Das klappt, indem Sie etwa selbst eine Frage in den Raum stellen und dabei auf noch offene, erweiterungswürdige Punkte in der Präsentation eingehen. Bei der Antwort auf Publikumsfragen sollte man seine Worte mit Bedacht wählen. Reagiert man mit einem Wortschwall, riskiert man, dass sich die anderen Teilnehmer zurückziehen.
Erste Hilfe, wenn sich keiner meldet
Der Vortrag ist beendet und die Besucher haben die Einladung erhalten, sich einzubringen. Nun gilt es, die Nerven zu behalten, mit ruhigem Blick die Zuschauerreihen zu mustern und darauf zu warten, dass die ersten Wortmeldungen kommen. Falls diese ausbleiben, gibt es als Erste-Hilfe-Maßnahme die Bitte um Handzeichen. Initiieren Sie eine kleine Abstimmung zu einem kontroversen Thema, das Sie sich schon vorab gut überlegen, um für diesen Moment gerüstet zu sein! Das kann z.B. sein „Wie sehen Sie die Kernfrage: Gibt es im dargestellten Fall ernsthafte Datenschutzbedenken? Bitte heben Sie die Hand, falls Sie das mit einem Ja beantworten!“. Nun lassen Sie ebenfalls per Handzeichen die Nein-Fraktion zu Wort kommen und versuchen Sie es anschließend noch einmal mit einer gezielten Frage ans Publikum! Eine mögliche Formulierung wäre z.B. „Wir hatten jetzt sehr viele Nein-Stimmen. Welche Risiken in Sachen Datenschutz erscheinen Ihnen am bedenklichsten?“.
Vom Vortragenden zum Moderator
Um einen wissenschaftlichen Diskurs gut in Gang zu bringen und zu leiten, müssen Sie von der Rolle des Vortragenden in die des Moderators mit anderen Kompetenzen schlüpfen. Das Publikum nimmt diesen Rollenwechsel wahr, indem man sich vom Vortragspult etwas entfernt und eine andere Position einnimmt. Man kann sich auch setzen und so dem Fachpublikum zudem signalisieren, dass man sich auf gleicher Augenhöhe bewegt.
Die Aufgabe der Moderatorin ist die Steuerung der Diskussion. Er oder sie leistet zudem die Unterstützung, die die Teilnehmer:innen brauchen, um sich angemessen zu äußern. Man darf sich also nicht scheuen, die zurückhaltenden Besucher:innen zu ermuntern und Vielredner:innen mit diplomatischen Worten zu bremsen. Man sollte sich als Moderator zudem immer seiner Rolle als Fachmann bzw. Fachfrau bewusst sein. Als jemand, der sein Thema ins Zentrum stellen und Abschweifungen in völlig andere Sphären unterbinden darf. Führen Sie daher die Teilnehmer:innen, die auf Umwege geraten sind, auf das eigentliche Thema des Vortrags zurück!
Überfordern Sie sich nicht!
Einen guten Vortrag zu halten, ist eine Sache. Eine Diskussion unter vielen Teilnehmern zu moderieren, ist aber nicht so einfach, wie manche meinen. Wenn Sie etwa als Nachwuchswissenschaftler darin nicht geübt sind, sollten Sie sich erst einmal in einem kleineren Rahmen an diese Rolle gewöhnen. Auch das Dazunehmen eines Co-Moderators kann die Wissenschaftskommunikation bzw. den Auftritt erleichtern. Das kann vor allem bei sehr vielen Teilnehmern hilfreich sein. In diesem Fall wird eine Diskussion schnell einmal unübersichtlich.
Und noch ein wichtiger Punkt: Seine Meinungen und Gedanken öffentlich kundzutun, ist nicht jedermanns Sache. Geben Sie den Teilnehmer:innen daher nicht das Gefühl, dass sie dazu verpflichtet sind, sich am Gespräch zu beteiligen oder eine Frage zu stellen!
Autorin: Anna Kollenberg
Foto: Photo by Felicia Buitenwerf on Unsplash
Veröffentlicht: 28. September 2022
Quellen:
Kilian, Lars (5.7.2019), Gruppenydnamik: Das Lernen in Gruppen folgt eigenen Regeln https://wb-web.de/wissen/interaktion/gruppendynamik.html
Department für Wissenschaftskommunikation (2018) Science In Presentations https://www.wmk.itz.kit.edu/2493.php
Lauer, Karin (04.06.2014) Mehr Widerspruch, bitte https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/europa/635368-Mehr-Widerspruch-bitte.html
Knapp, Annelie (n.n.) Mündliche Präsentationen https://www.uni-kassel.de/mumis/www.mumis-unicomm.de/deutsch/index22e9.html?seite=muster&sprache=de&muster=11