Gedanken zur Relevanz der Wissenschaftskommunikation
„Verachte nur Vernunft und Wissenschaft, des Menschen allerhöchste Kraft.“ Dieser Satz aus dem Drama Faust, den Goethe Mephisto in den Mund legt, hat nach wie vor Gültigkeit. Verschwörungstheoretische und absurde Argumente haben Hochkonjunktur. Ganz in Sinne Mephistos werden Wissenschaft und Vernunft verachtet und der „Lügengeist“ sogenannter alternativer Fakten breitet sich immer stärker aus.
Wichtiger denn je: eine gute Wissenschaftskommunikation!
Nicht nur angesichts der Corona-Krise ist eine gute Wissenschaftskommunikation heute gefragter denn je. Sie bietet Orientierung, ordnet ein, klärt auf und ist eine unverzichtbare Waffe gegen Fake News, die die Demokratie gefährden. Neben Corona zeigen auch andere Krisen, dass wichtige wissenschaftliche Erkenntnisse oft regelrecht verpuffen, wenn sie die breite Öffentlichkeit nicht versteht. Wenn diese dort nicht oder nur unzureichend ankommen, entsteht ein Nährboden für Un- und Halbwahrheiten. Erhalten Menschen keine einfach verständlichen Erklärungen für etwas, das ihnen Angst macht, greifen sie zu Alternativen. Denn Wissenschaft, die ihren Namen verdient, kann per se oft keine schnellen und eindeutigen Antworten liefern.
Schwer zu vermitteln: der lange Weg zur Erkenntnis
Wissenschaftliches Arbeiten basiert auf Beweis und Gegenbeweis, auf Hypothese und Widerlegung sowie auf Kritik und Kontroverse. Der Weg zur Erkenntnis beginnt mit einer Vielzahl von Hypothesen, die sorgfältig geprüft, widerlegt oder bestätigt werden und so die Basis für Tatsachen schaffen. Dieser Prozess ist oft langwierig und mühsam, kann bei großer Dringlichkeit aber auch beeindruckend schnell sein. So brachte etwa eine weltweit bislang einzigartige Kooperation von Forschern und Wissenschaftlern enorm schnell einen wirksamen Impfstoff gegen SARS-CoV-2.
Dennoch ist Wissenschaft in der Regel kein Schnellzug. Ihre Arbeitsweise widerspricht den Forderungen der Öffentlichkeit, die rasche Ergebnisse sehen will. Sie verlangt vor allem nach unverrückbaren Ergebnissen, die für alle Zeiten Gültigkeit haben. Dass Wissenschaftler das nicht liefern können, zeigt ein Blick in die Vergangenheit. So manches angeblich sichere wissenschaftliche Konzept hat sich schon als falsch herausgestellt. Irrtümer bzw. Um- und Irrwege sind immer ein Teil des Erkenntnisgewinns. Wissenschaftliche Arbeit ist nie unfehlbar, aber dennoch nach wie vor die beste Methode, um objektive Erkenntnisse über unsere Welt zu erlangen.
Der Irrtum als Teil der Wissenschaftskommunikation
Diese gewundenen Pfade des Erkenntnisgewinns, die mitunter auch in Sackgassen enden, müssen Teil einer funktionierenden Wissenschaftskommunikation sein. Diese darf nicht die Fehlschläge, Zufälle und Irrtümer unterschlagen, die beim wissenschaftlichen Arbeiten unvermeidlich sind.
Das zu vermitteln, ist heute wichtiger denn je. Viele Menschen glauben, Forschung sei selbst bei komplexen Themen so etwas wie eine Fabrik, die eine absolut gültige Wahrheit bzw. Erkenntnis nach der anderen produziert. Sie sehen zudem, dass die Wissenschaftscommunity mit einem Autoritätsproblem zu kämpfen hat. Gerade die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass die Politik nicht immer das macht, was Wissenschaftler empfehlen und das gilt auch für viele andere drängende Probleme vom Klimawandel bis hin zur Rentensicherung. Beim Erkenntnisgewinn geht es um Wahrheit, während Politiker auch bei drängenden Problemen nach Kompromissen suchen.
Ein weiterer Punkt ist, dass durch Corona erstmals die gesamte Bevölkerung komplexe Sachverhalte und deren Folgen verstehen muss - zum Beispiel, dass eine Impfung nur zu einem bestimmten Prozentsatz und nicht zu hundert Prozent wirkt. Komplexe Fragen stürmten plötzlich auf uns alle ein: Wie kann sich eine Mutation entwickeln? Welche Langzeitfolgen einer Infektion gibt es? Welche Nebenwirkungen hat die Impfung? Wie lange hält der Impfschutz? Auf viele aktuelle Fragen auch zu anderen Wissenschaftsthemen gibt es jedoch lediglich vorläufige, mit Unsicherheiten behaftete Antworten. Damit umzugehen, fällt der Öffentlichkeit schwer, die sich absolut richtige und unverrückbare wissenschaftliche Aussagen erwartet. Zu kommunizieren, dass Unsicherheit so etwas wie ein Teil des wissenschaftlichen Geschäfts ist, gelang der wissenschaftlichen Community bislang nur teilweise.
Dabei wäre gerade das derzeit enorm wichtig. Viele Wissenschaftsforscher sind sich einig, dass gar nicht so sehr die Verbesserung der Kommunikation zwischen Gesellschaft und Wissenschaft vorrangig ist. Vielmehr gelte es, das Wissen über den Forschungsprozess selbst besser zu vermitteln. Das ist etwa im Bereich des Klimawandels von großer Bedeutung. Viele Berechnungen zu den Verursachern inkludieren Unsicherheitsfaktoren und Unwägbarkeiten, die oftmals zum Eindruck führen, die Experten würden beliebig ihre Meinung ändern. Dazu kommt die Neigung des nicht nur vom Verstand, sondern auch von Emotionen gesteuerten Menschen, aus Expertenaussagen nur das herauszufiltern, was den eigenen Wünschen entspricht.
Eine gemeinsame Sprache finden
Wie gut Wissenschaftskommunikation klappt oder auch nicht, hat zudem viel mit Sprache zu tun. Überfordert der Wissenschaftsjargon die Zielgruppe, sind fundamentale Missverständnisse vorprogrammiert. Gute Wissenschaftskommunikation orientiert sich daher immer an der Sprache und der Lebensrealität der Menschen, die sie ansprechen will. Sie wirft ihren Blick außerdem auf alternative „Produktionsstätten“ von Wissen, erkennt also, dass dieses nicht nur von Forscher :innen kommt. So besitzen etwa auch nicht akademisch gebildete Menschen ein besonderes Wissen zu bestimmten Themen oder sind zum Beispiel als Patient :in von einem Problem direkt betroffen.
Es gibt noch Verbesserungspotenzial
Gerade die Corona-Pandemie hat die Schwächen der Wissenschaftskommunikation im Vergleich zu anderen Ländern aufgezeigt. Der Blick auf den englischsprachigen Raum zeigt, dass es hierzulande zweifellos Defizite gibt. Diese resultieren oft aus der Tatsache, dass in Deutschland in der wissenschaftlichen Grundausbildung das verständliche Kommunizieren nur wenig Platz hat. So lernen etwa in den USA Studierende viel intensiver, wie man Ergebnisse und Sachverhalte präsentiert bzw. Wissenschaft nach außen kommuniziert. Auch die deutsche Wissenschaftssprache ist ein Hemmschuh. Sie ist deutlich komplizierter als ihr englisches Pendant.
Zudem mangelt es in Deutschland an der institutionellen Verankerung von Wissenschaftskommunikation. Hilfreiche Grundsteine wären finanzielle Anreize und andere Fördermöglichkeiten für junge Forscher, um so den Community-Ansatz zu stärken. Wichtig wäre zudem eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für die gemeinsame Arbeit mit Journalist :innen oder Influencer :innen, um komplexe Themen wirklich zielgruppengerecht zu formulieren.
Zusammenfassung und Fazit:
Forschung ist nicht immer eine Erfolgsgeschichte. Ganz im Gegenteil: Sie liefert nicht eine zu hundert Prozent richtige Entdeckung nach der anderen, sondern ist mühsam, meist zeitraubend und voller Enttäuschungen. Wissenschaft und komplexe Themen brauchen daher den realistischen Blick von außen, um in der Öffentlichkeit nicht verzerrt anzukommen. Nicht nur in den Medien, auch in vielen Lehrbüchern und in der Schule wird der Weg zur Wissenschaftserkenntnis zu einseitig als geradlinig und sehr direkt dargestellt. Das ist ein falsches Bild, denn ohne Zufälle, Irrtümer und Fehlschläge wäre die Medizin und die demokratische Gesellschaft heute in dieser Form gar nicht denkbar. Forschung ist ein mühevoller Weg und voller Irrungen, die bei Berichten über bahnbrechende Entdeckungen oft ignoriert werden. Diese falsche Darstellung fördert den Eindruck, Forscher würden stets nach ewig bestehenden und absoluten Wahrheiten streben. Doch Wissenschaft ist immer auch eine Kultur des Zweifelns und benötigt sogar Irrtümer, um sich gesund zu entwickeln. Das zu vermitteln, ist eine schwierige, aber doch immens wichtige und lohnende Aufgabe.
Veröffentlicht: 22. Januar 2022
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